Zugegeben, bis zu diesem Kurs habe ich mir noch nie Gedanken gemacht über einen professionellen Social-Media Auftritt. LinkedIn und Xing hatten für mich immer einen etwas fahlen Beigeschmack. Neben der eigentlichen Jobsuche muss man sich nun auch noch Online vermarkten. Stichworte wie die „Ich-AG“ schossen mir durch den Kopf. Der grosse Teil der Menschheit (ausser ein paar glücklichen rich Kids) ist gezwungen seine Arbeitskraft zu verkaufen gegen einen Lohn. Neben der Investition in die eigene Bildung und der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, stürzen wir uns jetzt zusätzlich ins Selbst-Marketing. Für mich überraschend war (und ist) dabei, dass gefühlt alle um mich herum diesem Zirkus motiviert und völlig selbstverständlich mitmachen. Ja mehr noch, man möchte möglichst viel darüber lernen… aber stellen wir uns doch mal diese Szene ohne Internet vor:
Zum Ende eines jeden Semesters stehen die Studierenden, welche kurz vor ihrem Abschluss stehen, auf einem Marktplatz. Alle sind schön angezogen und waren am Morgen früh noch beim Friseur. Die Studierenden halten Schilder in der Hand mit lässigen Slogans wie: „Billig & Willig“ oder „Überstunden am Abend ist mein neues Netflix’n Chill“. Zur Menschenschau gesellen sich sich nun die potentiellen ArbeitgeberInnen. Die Leute vom HR betrachten die potentielle Ware. Sie prüfen die Qualität und diskutieren unter sich, ob sich dieses oder jene Exemplar gut verwerten liesse. Die Firma „Rüdiger Consulting AG“ scheint sich für ein junges weibliches Objekt mit guten Noten zu interessieren. Als sie potentielle Arbeitskraft schon fast mitnehmen wollen schreit eine neben ihr: „Nein nehmt mich mit! Die da hat letzten Winter zwei Mal wegen Krankheit gefehlt. Ich, während diesen drei Jahren keinen einzigen Tag! Zudem weiss ich, dass sie mit ihrem Freund bereits an Familienplanung denkt. Ich jedoch bin Single und möchte sowieso keine Kinder, nehmt mich!“
Klingt ein bisschen absurd oder? Natürlich ist dieses Szenario überspitzt. Wir können fast schon von Glück reden, dass wir uns über das Internet vermarkten und nicht alle zusammen auf einem Marktplatz stehen. Nichts desto trotz ist genau dies meine Befürchtung. Wir degradieren uns selber zur reinen Ware. Voller Elan rennen wir von der Langen Nacht der Karriere zu weiteren Networking Anlässe und lesen dabei Artikel wie „Selbstmarketing, die besten Tipps für ihre Karriere“
Nun, man kann sich fragen wem dies überhaupt hilft? Nachdem ich den Begriff „Selbstmarketing“ gegoogelt habe viel mir etwas auf: In vielen Artikeln zur Wichtigkeit von Selbstvermarktung wird auf eine Studie von IBM verwiesen. Die Studie wird dann etwa so erwähnt: Die Leistung ist nur zu zehn Prozent für die Karriere verantwortlich, zu 30 Prozent das Image, zu 60 Prozent die Bekanntheit. Dies ist wie gesagt eine viel zitierte Studie. Die Suche nach der eigentlichen Quelle verläuft aber erfolglos. Dafür wird sie gerne als Argument benutzt warum wir uns der Selbstvermarktung fügen sollen. Nicht mehr die Leistung zählt, sondern wie wir uns darstellen und wen wir alles kennen. Spannend ist auch, dass die überaus schwierigere Aufgabe darin besteht Blogs und online-Artikel zu finden welche sich dem ganzen etwas kritisch annähern. Die Zeit-Journalistin Tina Groll hat zu diesem Thema zwei Lesenswerte Artikel herausgebracht. Der erste handelt von der Selbstvermarktung. Darin wird betont, dass an der Verunsicherung vor allem die Coaching/Karriereberatungswirtschaft profitiert. Die oft genannte IBM Studie wird ebenfalls erwähnt. Ein gewisser Professor namens Karl Nessmann ging dem ganzen auf die Spur- und fand nichts. Nun hat der Professor eine eigene Studie in Auftrag gegeben die ungefähr zum selben Schluss kommt. Den Artikel habe ich euch hier verlinkt. Der zweite Artikel handelt vom Leistungsdruck und der Zunahme von psychischen Erkrankungen. Warum dies meiner Meinung nach zusammenhängt erfahrt ihr gleich. Zuerst aber noch ein Zitat aus einem Blog Beitrag von Benjamin Brückner: Sich selbst zu verkaufen bzw. zu vermarkten, bedeutet völlige Selbstaufgabe. Der grenzverwischende Begriff Selbstvermarktung soll darüber hinweg täuschen.
Nun zu meinem Fazit, warum ich das letzte Zitat so treffend finde: Egal wie viele Karriere-Events und Module dieses Thema aufgreifen, mehr Arbeitsplätze gibt es dadurch nicht (ausser in der Coaching Branche). Wir befinden uns in einem reinen Wettrüsten. Ein paar Personen verschaffen sich mit einer guten Online-Vermarktung Vorteile bei der Jobsuche, alle anderen müssen nachziehen. Bis wir schlussendlich alle ein super freshes Profil besitzen. Dann haben wir aber alle wieder gleich lange Spiesse. Also der ganze Aufwand umsonst. Aus dem kalten Krieg haben wir gelernt wie unsinnig Wettrüsten ist, warum sollte es hier so viel besser sein?
Ich wünsche euch allen somit noch einen schönen Tag. Ich mache mir dann mal ein LinkedIn Profil. Vielleicht lade ich noch ein Bilder von meinem Aufenthalt in Westafrika hoch. Meine multikulturellen Skills und selbstlose Einsatz für einen guten Zweck…verkauft sich sicher hervorragend 😉